DER PROZESS
Gottfried von Einem
Inszenierung | Licht | Sebastian Ritschel |
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Musikalische Leitung | Hans-Peter Preu |
Ausstattung | Sebastian Ritschel | Sven Stratmann (V) |
Choreografie | Gabriel Pitoni |
Dramaturgie | Ronny Scholz |
Premiere | 09. Oktober 2021 |
Besetzung
Josef K. | Pascal Herington |
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Der Aufseher | |
Ein Passant | |
Der Fabrikant | |
Der Geistliche | Johannes Schwarz |
Der Student | |
Der Direktor-Stellvertreter | |
Ein Bursche | Andreas Petzoldt |
Titorelli | Aljaž Vesel |
Der Untersuchungsrichter | |
Der Prügler | Michael König |
Willem | |
Der Gerichtsdiener | |
Der Advokat | Benedikt Eder |
Franz | |
Der Kanzleidirektor | |
Onkel Albert | Jonas Atwood |
Fräulein Bürstner | |
Ein buckliges Mädchen | Franziska Abram |
Die Frau des Gerichtsdieners | |
Leni | Anna Erxleben |
Frau Grubach | Ylva Gruen |
Drei Herren | Drei junge Leute | Stefan Gregor Schmitz |
Christopher Wernecke | |
Friedemann Gottschlich | |
Elbland Philharmonie Sachsen |
Trailer | DER PROZESS
Rezensionen
Volker Tarnow - Opernwelt Dezember 2021
Kafka con spirito
[…] Die Inszenierung Sebastians Ritschels, der auch die Ausstattung verantwortet, übersetzt diese musikalischen Qualitäten in faszinierende Bilder. Eine dreiteilige Drehbühne zeigt das Pensionszimmer von Josef K., der aus unerfindlichen Gründen verhaftet werden soll, sie zeigt seinen Arbeitsplatz in der Bank und schließlich das abendliche, beleuchtete Gerichtsgebäude, in dem die unbegreiflichsten Dinge vor sich gehen. Die hyperreale Albtraumwelt des Romans findet eine optisch überzeugende Entsprechung, wobei auf simple Schwarz-Grau-Symbolik verzichtet wird. Sogar die Videotechnik, nicht selten eine unverzichtbare Requisite einfallsloser Inszenierungen, wird hier sinnvoll eingesetzt. Drei Szenen sind es, in denen Komponist und Regisseur zu größter Form auflaufen: die Prügelszene, eindeutig von Kafkas «In der Strafkolonie» inspiriert und das Pendant aus den «Meistersingern» makaber parodierend; der Auftritt des staatstragenden Malers Titorelli, der ungewollt den Zynismus der Jurisprudenz enthüllt; und die auf den Großinquisitor in Verdis «Don Carlos» zielende Szene mit einem dämonischen Gerichtskaplan. Das Geschehen kulminiert in einer furiosen Stretta, die sich der besten Operntradition des 19. Jahrhunderts gewachsen zeigt. […] Die Aufführung liefert mithin genug künstlerische Gründe, dieses Werk auch auf größere Bühnen zu holen.
Roberto Becker - www.die-deutsche-buehne.de
Kein Ausweg. Nirgens.
[…] In Radebeul ist Dirigent Hans-Peter Preu mit der Elbland Philharmonie Sachsen und Sebastian Ritschel als Regisseur und Ausstatter der Einstieg in diese neue Fassung beispielhaft gelungen. Ein Gesamtkunstwerk aus hochästhetischer szenischer Umsetzung und hohem musikalischem und vokalem Niveau. […]
Es gehört zu den darstellerischen Vorzügen des mit charakteristischer vokaler Vielfalt die Partie ausschöpfenden, nahezu dauerpräsenten und äußerst flexibel gestaltenden Tenors Pascal Herington, dass er die Darstellung von Josefs Ängsten und dessen Verunsicherung nicht überzieht. So bleibt für das Publikum der Spielraum gewahrt, sowohl darüber nachzudenken, ob denn eventuell an einer irgendwie gearteten Schuld des Protagonisten etwas dran sein könnte, was zu Zeiten der Uraufführung wohl in der Luft lag. […]
Die Vorteile dieser Inszenierung sind die sinnliche Qualität und der Schauwert, in die alles verpackt wurde. Josef K. als Mittelpunkt ist und bleibt als einziger ganz in Weiß, wie eine personifizierte Unschuldsvermutung. Die Assoziation, die Michael König in der Doppelrolle sowohl als Untersuchungsrichter (im Homeoffice auf dem Bildschirm) als auch als Prügler (live im SM-Foltererlook) hervorruft, darf man als Absicht werten. Den Kanzleidirektor (Jonas Atwood) als Gottvater (auch im Homeoffice in der Höhe des Bildschirms) auch. Für den Auftritt des Prominentenmalers Titorelli (Aljaz Vesel) oder des Geistlichen (Johannes Schwarz) am Ende wird ebenso wenig an der Kostümopulenz gespart wie beim Travestie-Auftritt der drei Jungen Männer. Der Schrecken einer immer undurchschaubarer werdenden Welt kalkuliert ästhetische Verführungskraft jedenfalls ein. Das ist hier nicht anders als draußen vor der Tür.Wenn sich der Vorhang schließt, dann sitzt Josef K. wieder allein auf seinem Sofa. Vielleicht haben ihn die finsteren, eben kafkaesk agierenden Mächte ja doch nicht kleingekriegt? Wer weiß das schon. Das Premierenpublikum wusste jedenfalls, warum am Ende Jubel angesagt war. Die Pfiffe der vielen Jugendlichen waren eindeutig Zustimmung.
Joachim Lange - www.nmz.de
Die Bildnisse des Josef K.
„Der Prozeß“ ist auch in dieser Hinsicht ein Stück zur Stunde. Ins Auge gefasst hatte der bisherige, in der kommenden Spielzeit als Intendant nach Regensburg wechselnde Operndirektor der Landesbühnen und Regisseur Sebastian Ritschel diese von Einem Oper schon länger. Gut, dass er das ambitionierte Vorhaben jetzt umgesetzt hat.
Es ist sozusagen ein Musterprozess geworden, der musikalisch und szenisch überzeugt. Arrangeur Tobias Leppert hat für den Radebeuler Graben (und damit generell für kleinere und mittlere Häuser), und zugleich, um den geltenden Hygienebestimmungen entgegenzukommen, eine reduzierte Orchesterfassung erstellt. [...]
Überhaupt stimmt das Timing und die stilistische Geschlossenheit dieser Inszenierung bis ins fantasievolle Detail. Die gerahmten Porträts in Josephs Zimmer etwa führen ein surreales Eigenleben. Kafka meets Dorian Gray sozusagen (Videodesign: Sven Stratmann). Ritschels hochästhetische Bühne ist so beklemmend wie triftig. Mit drei Wänden auf der Drehbühne werden drei Räume (sein Zimmer, die Bank, eine nächtliche Straße) imaginiert, zwischen denen Joseph K. sich zwar bewegt, denen er aber nicht entkommen kann. Rechts und links davon befinden sich zwei Verschläge, die mit Exit überschrieben sind - der rechte spiegelverkehrt. Sie sind natürlich nicht, was sie vorgeben…
Am Ende sitzt Josef K. als einziger (unschulds-?) weiß Gekleideter allein in seinem Zimmer. Nach seinem Parforceritt durch den Nebel aus diffusen Schuldgefühlen und eskalierenden Ängsten von der Allmacht des „Gerichtes“ und all der damit verbunden grotesken Auswüchse. Wenn sich der Vorhang schließt, ist Joseph K. ist ein anderer. Der Premierenbeifall in Radebeul ist mehr als herzlich. Vor allem die vielen Jugendlichen im Publikum sorgen da für Stimmung.
Jens Daniel Schubert - Sächsische Zeitung
Josef K. wird der Prozess gemacht
Die Bühne dreht sich. Drei Räume, alle identisch aufgebaut, aber mit unterschiedlich gestalteten Rückwänden, werden zum Spielort. Die Bank, wo Herr K. arbeitet. Sein Zuhause. Die Straße. Josef K. kann aus diesem sich drehenden Hamsterrad nicht ausbrechen. Er begegnet Bekannten und Unbekannten. Er versucht, mit ihnen und an ihnen das Geheimnis des Prozesses, in dem er sich befindet, zu ergründen. Er erfährt Zuneigung und Ablehnung. Aber die Menschen sind nicht greifbar. Die Distanz ist nicht zu überwinden. Das Unerklärliche wird immer absurder, die Gefahr immer größer.
Doch während Roman und Oper in einem Steinbruch enden, zwei Unbekannte ihn „abstechen wie einen Hund“, landet Josef K. an den Landesbühnen wieder in seinem Sessel vom Anfang. Alles könnte von vorne beginnen. Es sind die schlechten Gedanken, es sind die Vorstellungen von eigenem Versagen, unbewältigte Lebenssituationen, unlautere Träume, verpasste Chancen. Sie quälen ihn, klagen ihn an. Sie sind nicht fassbar, aber unausweichlich da.
Während die meisten Sänger mehrere Figuren darstellen, punktuell, oft in sich wiederholenden, surrealen Bewegungsabläufen auftreten, gibt Ritschel den Frauen eine besondere Aura. Hier sind Verführung, Konventionen und Grenzüberschreitungen deutlich, innere Konflikte direkt nachvollziehbar. Es ist eine geschlossene Ensembleleistung mit herausragenden Einzelleistungen. Sie wird durch den Darsteller des Josef K. gekrönt. Pascal Herington ist immerzu auf der Bühne, die spielerische Vielfalt überzeugend und die sängerische Leistung zwischen lyrisch und heldisch, zwischen Charakterfach und Spieltenor faszinierend ausgewogen. Konzeptionsbedingt ist er ständig in Bewegung, ohne voranzukommen oder sich zu entwickeln.
Gottfried von Einems Oper ist keine leichte Kost. Die neue Inszenierung ist anspruchsvolle Unterhaltung für alle, denen Mitdenken Vergnügen ist. Musiktheater auf hohem Niveau. Großer Applaus!