DER UNTERGANG DES HAUSES USHER
Philip Glass
Inszenierung | Licht | Sebastian Ritschel |
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Musikalische Leitung | Stefan Veselka |
Ausstattung | Sebastian Ritschel | Sophia Debus | Sven Stratmann (Video) |
Dramaturgie | Ronny Scholz |
Premiere | 02. Februar 2020 | Theater Münster |
Besetzung
William | Felippo Bettoschi |
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Roderick | Youn-Seong Shim |
Madeline | Marielle Murphy |
Diener | Christoph Stegemann |
Arzt | Pascal Herington |
Opfer | Janine Ahrmann, Kelly Alves, Paula Brocke, Nele Erichsen, Christina Frühe, Lisa-Marie Menke, Joana Taskiran, Lena Wasmuth, Pia Wending, Olivia Zessin |
Junger William | Pierre Guillemot | Justus Beermann |
Junger Roderick | Levin Berheide | Carlo Steinhaus |
Junge Madeline | Nausikaa Berger | Mara Richter |
Stimme | Joachim Foerster |
Sinfonieorchester Münster |
Trailer | THE FALL OF THE HOUSE OF USHER
Rezensionen
Horst Dichanz - www.o-ton.online.de
Das grässliche Phantom Furcht
Ritschel hat Poe ernst genommen, dem es nicht darum ging, »das Vorhandene abzubilden«, Poesie ist für ihn »die erste, die höhere Wirklichkeit«. Die Münstersche Aufführung überlässt dem Zuschauer manch offene Situation zur eigenen Deutung, die »keinen festen Umriss« hat. Gleichwohl kommt dabei keine Langeweile auf, die Spannung trägt. Die von Poe mit Lust wiederholte Frage, »ob nicht der Wahnsinn die höchste Stufe der Geistigkeit bildet«, durchzieht diese moderne Oper von Anfang bis Ende und mutet dem Zuschauer zu, bei allen verwickelten und verworrenen Ereignissen auf der Bühne selbst einen Weg »durchs gleiche psychopathologische Unterholz« zu finden. Die Reaktionen des Publikums lassen erkennen, dass das gleichwohl mit Aufmerksamkeit und Lust geschehen kann und genügend Unterhaltung bietet. […]
Die Münstersche Aufführung des Hauses Usher bietet ihren Besuchern sowohl die Chance bester, weil spannender Unterhaltung als auch genügend Anlässe, über das menschliche Dasein wie über sich selbst nachzudenken. Die unromantische Musik wie die Charaktere des Stückes lassen ihn erfahren, dass „ich mir selbst ein unerklärlich Rätsel“ bin, wie E. T. A. Hoffmann sagte, und die Trennungslinie zwischen Fakt und Fiktion unscharf bleibt. Ein Abend, der den Besuchern im Gedächtnis bleiben wird. Die Zuschauer bestätigen das mit einem langanhaltenden Schlussapplaus, mit dem sie sich für einen ungewöhnlichen, sehr gelungenen Abend bedanken.
Roland Dippel - www.nmz.de
Wechsel von Glätte und Grauen!
Sebastian Ritschel und sein Dramaturg Ronny Scholz erzählen für das Theater Münster eine ganz andere Geschichte als Edgar Allan Poe in seiner berühmten Erzählung (1839). Damit nützen sie das beklemmende Potenzial von Philip Glass‘ 1988 in Cambridge (Massachusetts) uraufgeführter Oper für eine gebrochene Metamorphose. Und sie reizen jede der exzessiven Fragwürdigkeiten im Textbuch von Artur Yorinks – hier in der deutschen Textfassung von Saskia M. Wesnigk – aus. […] Die Musik baut sich aus fünf bis sieben Motiven auf. Durch deren irreguläre Reihung modellierte Glass ein Spannungsband von fast romantischer Intensität. Dessen Füllung gelingt dieser Produktion rundum angemessen. […]
Konstruktiven Widerstand entfacht allerdings die Inszenierung, welche durch eine Rückblende noch mehr Fragen aufwirft. Durch den ständigen Wechsel von Glätte und Grauen geschieht das auf intensiver Augenhöhe mit Poe: Wer ist in Ritschels alternativer Handlung der Verursacher des Brands? Neun Kerzen stehen auf der Geburtstagstorte, die der deutlich größere William dem Mädchen reicht. Ist es, wenn ihr viel jüngerer und gleichfalls rothaariger Bruder dazwischen geht, den Inzest vorwegnehmende Eifersucht oder familiäres Exklusivgefühl? Fragen über Fragen schon am Handlungsrand – mit Poes Obsession für lebendig Begrabene gibt man sich in Münster nicht zufrieden, was die Spannung steigert. […]
Ritschel hat sich dazu entschlossen, Poes Herausforderungen mit im Doppelsinn ‚Poetischen‘ Freiheiten anzunehmen. Ihm gelingt, das sich schleichend steigernde Grauen auszumalen ohne zu erklären, wodurch dieses Grauen entsteht. Dieser Abend erfordert von Zuschauern also Bereitschaft zum aktiven Mitdenken. Auch die vielen Schüler*innen in der besuchten Vorstellung ließen sich von dem Gesehenen willig faszinieren. Starker einhelliger Applaus und beim Hinausströmen viel gegenseitiger Erklärungsbedarf.
Anke Schwarzer - Westfälischer Anzeiger
Grausige Operationen in einem Riesenkopf
Poe ist ein Meister der subtilen Andeutungen, Glass einer der minimalistischen Musik. Das nutzt Sebastian Ritschel in Münster aus. Er verschiebt den Plot, in dem er Gesangsstellen neu zuweist, Figuren anders arrangiert und eine Bildsprache verwendet, die aus dem Film „Das Schweigen der Lämmer“ importiert sein könnte.
Die Bühne wird beherrscht von der Skulptur eines meterhohen Frauenkopfes, der Gold glänzend aus einer angemessen düster gehalten Umgebung herausragt. Es handelt sich um ein Porträt von Rodericks Schwester Madeleine, überzogen mit den vergoldeten Gesichtshäuten jener Frauen, die Rodericks Arzt und seinem nicht minder dämonischen Butler zum Opfer fielen. Gefangen in diesem kreativen Albtraum, verschlossen durch die Endlosschleifen von Glass‘ Musik, befindet sich William, Jugendfreund und schockierter Besucher von Roderick. Doch das ist nur das Destillat verschiedener Ebenen, die Ritschel andeutet. Wie bei Poe bleibt offen, was real ist und was sich nur im Kopf der Protagonisten abspielt. So sind die grausigen Operationen in einem Hinterraum des drehbaren Riesenkopfes angesiedelt. […]
Was Poe andeutet und Glass durch seine Musik intensiviert, ordnet die Regie in Münster einem cineastischen Horrorszenario unter. […] Die eindringliche Präsenz lässt nicht los und hält die Spannung bis zum Schluss der 90 Minuten langen Inszenierung aufrecht.
Harald Suerland - Westfälischer Nachrichten
Die Maske des kranken Bruders
Dunkel spiegelnde Wände, geheimnisvolle Lichtleisten, und mittendrin eine riesige goldene Maske, die allerlei Verwandlungsmöglichkeiten in sich birgt: Die Schauwerte der neuen Opernproduktion in Münsters Großem Haus sind, wieder einmal, imposant. Regisseur Sebastian Ritschel hat sich für den „Untergang des Hauses Usher“ ein faszinierendes Bühnenbild geschaffen. Auch die Kostüme stammen von ihm […] Wer auf wohligen Schauer nach der berühmten Erzählung Edgar Allan Poes aus ist, fühlt sich hier gut aufgehoben. […]
Beim großen Schlussapplaus des gleichwohl stimmungsvoll-düsteren Abends durfte sich das ganze Orchester auf die Bühne begeben: Dieses gute Dutzend Musiker hatte zuvor im Graben mit sonorer Intensität die Glass-Partitur zum Glühen gebracht, und Dirigent Stefan Veselka, hier vor allem als überlegener Koordinator gefragt, war den Sängern ein idealer Orientierungsfels in den minimalistischen Klangwogen.