LE NOZZE DI FIGARO
Wolfgang Amadeus Mozart
Inszenierung | Licht | Sebastian Ritschel |
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Musikalische Leitung | Eckehard Stier |
Ausstattung | Sebastian Ritschel, Britta Bremer |
Dramaturgie | Ronny Scholz |
Choreinstudierung | Manuel Pujol |
Premiere | 25. Mai 2013 | GHT Görlitz-Zittau |
Besetzung
Figaro | Geani Brad |
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Susanna | Laura Scherwitzl |
Il Conte d'Almaviva | Tim Stolte |
La Contessa d'Almaviva | Audrey Larose Zicat |
Cherubino | Patricia Bänsch |
Marcellina | Gabriele Scheidecker |
Dr. Bartolo | Stefan Bley |
Don Basilio | Don Curzio | Michael Berner | Benjamin von Reiche |
Antonio | Hans-Peter Struppe |
Barbarina | Anne Petzsch | Lindsay Funchal |
Chor des GHT Görlitz-Zittau | |
Neue Lausitzer Philharmonie |
Trailer | Le nozze di Figaro
Rezensionen
Boris Michael Gruhl - DNN
Premierenjubel für "Le nozze di Figaro"
[...] In Görlitz, am Gerhart Hauptmann-Theater, feierte Mozarts Meisterwerk eine bejubelte Premiere. Es war der Wunsch von Eckehard Stier, der sich nach zehn Jahren als Generalmusikdirektor verabschiedet. Dass eine solche Aufführung mit einem so überzeugenden Ensemble möglich ist, verdankt sich nicht zuletzt seiner konsequenten, wie fordernden Förderung des Musiktheaters und der Neuen Lausitzer Philharmonie. Bei geringen Einschränkungen im Hinblick auf Übereinkunft der Tempi und des Zusammenklanges zwischen Sängern und Orchester ist eine Aufführung zu erleben, bei der drei Stunden wie im Flug vergehen. Immer wieder Reize für Auge und Ohr. Momente der Verinnerlichung werden abgelöst von aufbrausender Dramatik und gebrochen durch Szenen greller Komik.
Verwirrungen, Verwechselungen, ja selbst die oftmals so heiklen Szenen der Verkleidungen und Verstellungen haben hier ihren Sinn, weil sie geschmackvoll, gekonnt und präzise inszeniert sind. Da stimmt jede Bewegung, die Szenen sind ausgefeilt und können so mit choreografischer Genauigkeit gespielt werden. So kommt zur musikalischen Dimension die spannende Optik. Dass die Sicht auf das Werk von Sebastian Ritschel (Regie, Ausstattung, Licht), unterstützt von Britta Bremer und Ronny Scholz, streitbar ist, spricht für die Konsequenz seiner Arbeit. Für Ritschel ist es der Rachefeldzug Figaros, seiner Braut Susanna, der Gräfin, des Pagen Cherubino und der Gärtnerstochter Barbarina, im Verein mit Bauern und Bediensteten, gegen den Grafen Almaviva, für den bei Ausnutzung seiner scheinbar unangreifbaren Stellung als Gejagter seiner Leidenschaften unter jedem Rock eine Rose blüht und unter jeder Bluse sanfte Hügel der Eroberung harren, da schreckt er auch nicht zurück vor roher Gewalt.
Der Jäger ist nicht nur geil, er ist auch schlau. In manchen Zimmern seines Hauses, besonders in dem für Susanna und Figaro bestimmten Schlafzimmer, sind die Klinken so hoch, dass sie nur von Menschen höheren Standes zu erreichen sind. Aber auch andere sind schlau. Sie haben Schlupflöcher und Luken gefunden. Sie schmieden einen Plan. Sie werden den nimmersatten Jäger mit den eigenen Waffen schlagen. Weil er es auf die Braut Susanna abgesehen hat, wird die eigene Gattin in deren Brautkleid ihn nachts erwarten, um sich dem glücklichen Unglück hinzugeben, wenigstens so vom immer noch geliebten Gatten begehrt zu werden. Dass dabei für die edle Gräfin doch wie ein Traum aus roten Rosenblättern der junge Körper des geschmeidigen Pagen Cherubino in der Fantasie keine gänzlich unbedeutende Rolle spielt, ist kein Geheimnis. Ebenso geheimnislos ist Susanna wohl auch nicht nur zum Schein unempfänglich für die Erkundungen gräflicher Hände.
So will dann am Ende eigentlich, trotz Figaros einleitender und grundsätzlicher, aufbegehrender Einladung zum Tanz mit dem Despoten, niemand den ersten Schritt wagen, geschweige denn ersten Stein werfen, wenn im nächtlichen Garten die Masken fallen. Zum einen bleibt es Mozarts Geheimnis, ob des Grafen zu Herzen gehender Gesang der Entschuldigung "Contessa perdono!" nicht wirklich für den Augenblick ernstzunehmen ist, ob der Schreck den anderen genügt, die alte Ordnung bleibt und nunmehr vier Paare versuchen werden, sich damit zu arrangieren. Dem Regisseur reicht das nicht. Es gibt keinen nächtlichen Garten, Almavivas Gebäude ist zusammengebrochen, die Türen sind aus den Angeln, er steht allein im leeren Rahmen seiner schlauen Konstruktion. Die Hochzeitsgäste haben, wie sie singen, erst Gram und Traurigkeit aus ihren Herzen verbannt, wenn der Graf sich die für ihn bestimmte Schlinge um den Hals legt. Sie meinen es ernst. Die erhobenen Zaunlatten sind nicht nur zum Winken da.
Mit solchen und anderen Deutlichkeiten schleichen sich unnötige Fingerzeige ein. So erglühen die Räume immer wieder in leuchtendem Rot, wenn aufbegehrende Töne erklingen, oder noch deutlicher, ein roter Schriftzug "Vendetta" beherrscht die fast weiße, edle Szene, in denen auch die Hauptträger der Handlung in Schwarz und Weiß gekleidet sind, lediglich dem heiteren Personal ein paar mehr Farben zugestanden werden. Das ist nicht ohne optischen Reiz, vor allem weil bis in die kleineren und kleinsten Partien mit Stefan Bley und Gabriele Scheidecker als Bartolo und Marcellina alles ganz stimmig funktioniert. Das gilt auch für den witzigen Michael Berner in der Doppelrolle als intriganter Musiklehrer Basilio und Richter Curzio und Hans-Peter Struppe als hochprozentig begossenem Gärtner. Die hoffnungsvolle Dresdner Studentin Anne Petzsch gibt als Barbarina in Gesang und Spiel weit mehr als eine Talentprobe.
Mit dieser Inszenierung verabschiedet sich auch Tim Stolte aus dem Görlitzer Ensemble, mit seiner Leistung als Graf Almaviva gelingt ihm ein grandioser Höhepunkt in seiner ohnehin erstaunlichen Entwicklung. Audrey Larose Zicat ist eine attraktive und gar nicht so sentimentale Gräfin, eine große Überraschung bietet Patricia Bänsch als Cherubino, erstaunlich wie hier Gestaltung und Musikalität zusammengehen. Das gilt auch und vor allem für Laura Scherwitzl als Susanna. Mögen vielleicht noch einige lyrische Dimensionen fehlen, allein die unverstellte Frische und die Authentizität ihrer Gesamtleistung sind von größerer Bedeutung. Ein Glücksfall für diese Inszenierung ist der Gast Geani Brad in der Titelpartie, verblüffend in der Leichtigkeit seines so genauen und konsequent partnerbezogenen Spiels, höchst angenehm in den klanglichen Qualitäten seines Gesanges. Nicht zu vergessen, gesungen wird italienisch, das ist gut so; zur Not gibt's ja die Übertitel, deutsch und polnisch, noch eine Görlitzer Spezialität.
Jens Daniel Schubert - Sächsische Zeitung
Ein Graf und viele Bräute...
Die Görlitzer Inszenierung setzt auf eine eigene, heutige Sichtweise der Mozart-Oper.
Für Eckehard Stier war es am Sonnabend die letzte Opernpremiere als Generalmusikdirektor am Gerhart-Hauptmann-Theater. Mit Mozarts „Le nozze di Figaro“ war es ein populärer Klassiker und der Jubel des Publikums für die Aufführung groß. Allerdings zogen die Sänger größere Begeisterung der Premierengäste auf sich, auch wenn Stier wie gewohnt eine schwungvolle Interpretation lieferte, das Ensemble zu einer grundsoliden Leistung führte und ein sicherer Helfer in brenzligen Situationen war.
Auf der Bühne ist ein gut zusammenpassendes, musikalisch wie stimmlich überzeugendes und spielerisch ambitioniertes Ensemble zu erleben. Allen voran das junge und sympathische Protagonistenpaar Figaro und Susanna. Beide sind in ihrer Ausstrahlung authentisch, dem rumänischen Bariton Geani Brad ist die Partie wie auf den Leib geschrieben. Auch Laura Scherwitzl findet einen guten Weg zwischen flottem Parlando und lyrischem Bogen, zwischen fideler Kammerzofe und liebender Frau.
Sebastian Ritschel verantwortet, unterstützt von Britta Bremer und Ronny Scholz, Inszenierung, Ausstattung und Licht für diesen „Figaro“. Sein Hauptaugenmerk liegt, im Unterschied zu vielen anderen Interpretationen, auf dem „Grafen“. Ganz losgelöst aus historischen Zeiten, man trägt schwarz-weiße Abendgarderobe oder schwarz-weiße Livree, ist es kein Konflikt Plebejer und Aristokrat, wohl aber Diener und Herr. Für den Grafen haben alle Frauen verfügbar zu sein, und er merkt nicht, wie er den Bogen überspannt, wie sich Widerstand formiert. Völlig überrascht ist er am Ende, wenn sich die Bediensteten knüppelbewehrt auf ihn stürzen und der Galgenstrick bedrohlich baumelt.
Tim Stolte gibt den Conte d’Almaviva mit großer Noblesse und schön klingender Stimme, die ein reiches Gestaltungsspektrum zeigt. Konzeptionell konsequent ist er kein entbrannter Liebhaber, kein reumütiger Sünder, kein Gefühls- oder Lustgetriebener, sondern kalkulierender Eroberer. Das macht es den Frauen an seiner Seite schwer, mehr zu sein als ein Eroberungsobjekt, das den eigenen Preis hochtreibt. Liebe, die Seitensprung und Kränkung vergibt und wie sie aus Mozarts „Contessa perdono“ zu klingen scheint, ist nur schwer zu spielen. Audrey Larose Zicat ist die Contessa, die unter der Eifersucht ihres Mannes ebenso leidet wie unter seiner Gefühlskälte. Sie blüht auf, wenn Cherubino seine unbeholfene Liebeserklärung singt, verfolgt wild entschlossen und konsequent den Racheplan und wird doch liebevoll verzeihen.
Ritschels bildgewaltige Inszenierung mit ihren überdeutlichen Symbolen, klaren Bildern und Farben beleuchtet interessante Aspekte der bekannten Geschichte. Bereits im Einstieg auf den letzten Ouvertürentakten wird der anmaßende Verfügungsanspruch des Grafen vorgeführt, der wie ein Damoklesschwert über Susanna hängt. Optisch herausgehoben wird der in den unterschiedlichsten Spielarten wiederkehrende Moment der Rache, die zum Handlungsantrieb wird. Der allbekannte „Figaro“ wird in einer eigenen, heutigen Sichtweise gezeigt. Ist es zu kritisieren, dass nicht alle dramaturgischen Ideen rundum schlüssig sind, dass die Akzentverschiebung von „Le nozze di Figaro“ auf „La vendetta di Conte“ manches übergeht, was sich der Opernliebhaber erwartet? Das Görlitzer Publikum applaudiert mit der neuen Inszenierung einer kontinuierlichen Entwicklung im Musiktheater und hofft, dass diese sich trotz des Chefdirigenten-Wechsels fortsetzt.